Von BDM bis Theresienstadt. Der Nationalsozialismus und die Frauen von Geidorf.
Unser Spaziergang verweist einerseits konkret auf das Schicksal einiger Frauen, das direkt vom Nationalsozialismus betroffen war, zeigt aber zugleich, wie tief das ideologische Gedankengut in der Bevölkerung verankert war. Frauen waren in der nationalsozialistischen Politik keine Führungspositionen zugedacht, der Alltag wurde aber zu einem Gutteil auch von Frauen getragen.
Martha Tausk musste als aktive Sozialdemokratin 1939 mit 58 Jahren zu ihrem älteren Sohn in die Niederlande emigrierte, wo sie auch 18 Jahre später verstarb.
Als Gerontologin und Brückenbauerin zwischen den Generationen wurde Erika Horn nach dem Krieg bekannt. In der NS-Zeit war sie im Bund Deutscher Mädel (BDM) aktiv, sie promovierte 1940 an der Grazer Universität in Geschichte und Philosophie.
Zwar war die Mitgliedschaft verpflichtend, doch genossen ein Großteil der Mädels Teil der Gemeinschaft zu sein und ein Stück Abenteuer und auch Unabhängigkeit vom Elternhaus zu leben.
Die drei zentralen Funktionen, die der Führer den Frauen im nationalsozialistischen Staat gegeben hat: helfen - heilen – erziehen, machen sie zu tragenden Säulen der Volksgemeinschaft.
Von Fürsorgerinnen werden sie zu NS-Volkspflegerinnen, die als „Modell-Schwestern“ Unterstützung bei häuslicher Pflege geben, gleichzeitig rekrutieren sie junge Mädchen und kommen ihrer Meldepflicht bei Seuchen und zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ nach.
Geidorf beherbergt damals wie heute eine Reihe von Krankenhäusern und Sanatorien – unser Weg führt uns am ehemaligen Unfallkrankenhaus vorbei. Im Vordergrund der Tätigkeit der NS-Krankenschwester steht die Betreuung und „verantwortungsbewusste Überwachung“ der Gesunden. Krankenschwestern tragen eigene Schwesternuniform mit einer Hakenkreuz-Brosche, auch sie müssen den Eid auf den Führer leisten. Bereits 1937 wird das Rote Kreuz der Wehrmacht unterstellt. Krankenschwestern selektieren missgebildete Kleinkinder oder behinderte Jugendliche. Im Namen des Fortschritts und der Volksgesundheit wird ihnen mit einer Überdosis Barbiturate, einer Morphiumspritze oder dem Verhungernlassen, der Gnadentod gewährt. Aufgrund des Gesetzes zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ werden an der Grazer Frauenklinik rund 500 Schwangerschaftsabbrüche, also rassisch indizierte Abtreibungen bei jungen, meist 18 bis 23jährigen, gesunden ZwangsarbeiterInnen vorgenommen. Ebenso legitimiert dieses Gesetz Zwangssterilisationen, die an Männern und Frauen durchgeführt werden, zehnmal mehr Frauen sterben daran.
Die Eugenik zur Stärkung der arischen Rasse liegt auch dem ab 1939 gültigen Reichshebammengesetz zugrunde, dass bei jeder Geburt eine Hebamme anwesend sein muss. Für Meldung beim Gesundheitsamt bei Missbildungen gibt es Prämien.
Lehrerinnen, ausgebildet teils in der Lehrerbildungsanstalt am Hasnerplatz, waren wesentlich an der Verbreitung des Nationalsozialismus im ganzen Land beteiligt. Im Mittelpunkt des Unterrichts standen vormilitärische Früherziehung, Rassenkunde und andere Aspekte der nationalsozialistischen Weltanschauung. Eine wesentliche Rolle übernehmen Lehrerinnen in der Germanisierungspolitik in der Untersteiermark oder im Osten.
Für die ehemalige Lehrerin und Widerstandskämpferin Valeska Türner liegt vor der Pädagogischen Hochschule am Hasnerplatz ein Stolperstein. Türner war Obfrau der KPÖ Steiermark und in den 1920er-Jahren in der Sozialdemokratischen Frauen- und Lehrerorganisation aktiv. Bereits im September 1938 wurde die sie festgenommen und in das KZ Ravensbrück deportiert. Im Februar 1942 wies sie der Lagerarzt in ein Sanatorium für „Minderarbeitsfähige und alle Kranke“ ein, in der Euthanasie-Anstalt Bernburg an der Saale wurde sie umgehend ermordet.
Wenige Schritte weiter befand sich in der Langegasse das Atelier der weltbekannten Malerin Norbertine Bresslern-Roth, die hier gemeinsam mit ihrem Mann Georg Bresslern lebte und arbeitete – unbeschadet auch die ganze NS-Zeit hindurch, obwohl die Mutter von Georg Bresslern Jüdin war und er somit „Geltungsjude“.
Konvertiert bzw. aus der Kirche ausgetreten, somit „Geltungsjuden“ sind auch die Mitglieder der Familie Kurzweil, für Bruno und Gisela sowie ihre Tochter Adele Kurzweil finden sich Stolpersteine in der Schröttergasse. Sie konnten 1938 nach Frankreich emigrieren, wurden aber 1942 ausgeliefert und in Auschwitz ermordet.
Ähnlich erging es der Erbauerin des Margaretenbads Jenny Zerkowitz, die 1941 nach Wien, im Sommer 1942 nach Theresienstadt überstellt wird und zu Weihnachten dort stirbt. Bereits 1938 wird das Freibad „arisiert“ und von einem Parteigenossen geführt – das Gesundheitsamt Graz erlässt ein „Badeverbot für Juden“.
Die Schwestern Paula und Ida Maly, aufgewachsen in der Korösistraße 116, waren beide Malerinnen. In der NS-Zeit arbeitete Paula als Lehrerin an der Frauenberufsschule Graz und lebte in der Villefortgasse. Ida wohnte, unterbrochen von Aufenthalten in der Irrenanstalt „Feldhof“, bei ihr. Im Rahmen des "Euthanasie-Programms" wurde Ida 1941 in der Vernichtungsanstalt Hartheim in Oberösterreich ermordet.